EG TRAUNSTEIN: ARCHIV AKTUELL DETAILS

Europäische Kommission setzt sich für Verbot unlauterer Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette ein

Vorstand der Erzeugergemeinschaft Traunstein beobachtet die Verhandlungen aufmerksam.

Die Wahlkämpfe in Bayern und Hessen sind vorüber. Die sachliche Arbeit auf allen politischen Ebenen nimmt wieder Fahrt auf. Die EU hat ihren Arbeitszyklus nicht unterbrochen und arbeitet zum Ende der österreichischen Ratspräsidentschaft an wichtigen Verordnungen, unter anderem auch zur Korrektur unlauterer Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette. Grund: Das aktuelle Marktgeschehen entzieht Landwirten sowie kleinen und mittleren Produktions- bzw. Handelsunternehmen in vielen Fällen nahezu vollständig die Kontrolle über Absatzoptionen und die Gestaltung von Abgabepreisen. In vielen Fällen sind vertragliche Abhängigkeiten von Erzeugern gegenüber dem Großhandel, großen Veredlern von Lebensmitteln sowie Handelskonzernen gegeben, die einer verdeckten abhängigen Beschäftigung gleichzusetzen sind. Die Kommission hat deshalb einen Vorschlag vorgelegt, mit dem die schädlichsten unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette verboten werden sollen. Der Vorschlag enthält auch Bestimmungen für eine wirksame Durchsetzung. Verstöße sollen durch nationale Behörden mit empfindlichen Sanktionen belegt werden. Ob faire Vertragsbedingungen ausgehandelt werden können, hängt aktuell in vielen Fällen generell von der Fairness des stärkeren Partners ab. In der Regel ist die Verhandlungsposition der landwirtschaftlichen Erzeuger deshalb schwach und die Suche nach alternativen Abnehmern oder eigenen Vertriebskanälen kann schnell zur Auslistung führen. Gleiches gilt, wenn Abgabepreis-Diktate der Abnehmer von den Erzeugern nicht akzeptiert werden können, weil sie unterhalb der Kostendeckungsgrenze liegen. Ein für die Bestandssicherung der Betriebe wichtiger Aufbau eines größeren Kundenbestandes entfällt deshalb oft aus Furcht vor fatalen Geschäftseinbrüchen. Die EU-Kommission sieht hier dringenden Handlungsbedarf. Sie nennt in ihrer Erklärung typische Beispiele für inakzeptable Vorgehensweisen, wie z.B. verspätete Zahlungen für verderbliche Waren, Auftragsstornierungen in letzter Minute, einseitige oder rückwirkende Vertragsänderungen oder erzwungene Zahlungen des Lieferanten für die Verschwendung von Lebensmitteln. 

Trilog Gespräche im Oktober aufgenommen
- nur durchschnittlich 21 % des Endpreises für landwirtschaftliche Produkte kommen beim Erzeuger an -

Das EU-Parlament hat nun dem sozialdemokratischen MdEP Paolo De Castro das Mandat erteilt, unverzüglich Trilogverhandlungen mit dem EU-Rat und der Kommission über das Thema unfaire Handelspraktiken aufzunehmen. Das erste Trilog-Meeting fand bereits am 25.10.2018 statt. Die europäischen Landwirte zeigten sich erfreut. Die klaren Mehrheitsverhältnisse würden den Verhandlungsführern des Europäischen Parlamentes eine starke Legitimität verleihen, um den ursprünglichen Vorschlag der Kommission zu verbessern. Das tweetete der Think-Tank Farm Europe. Um das Problem besser zu verstehen: Nur etwa 21 % des Endpreises der landwirtschaftlichen Erzeugnisse kommen beim Erzeuger an. Ca. 28 % gehen an die Verarbeiter und bis zu 51 % an den Einzelhandel. Eine gerechtere Verteilung bedingt die Beschränkung der Macht von Handelskonzernen. Die Konzentration beim Einzelhandel in der EU soll deshalb eingeschränkt, Rabatte und Listungsgebühren sollen abgeschafft werden. 

Staatlich festgelegte Vorgaben für Umwelt- und Tierschutzstandards ebenfalls in der Diskussion  
Besonders wichtig für tierhaltende Erzeuger: Angenommen wurde auch ein Antrag, dass für Umwelt- und Tierschutzstandards ausschließlich der Gesetzgeber und nicht Handelsketten zuständig sein sollen. Aktuell stößt diese Idee aber auch bei den Landwirten nicht wirklich auf Gegenliebe. Nur etwa jeder vierte rinderhaltende Erzeuger würde nach einer bei „agrarheute“ veröffentlichen Umfrage aktuell an einem staatlichen Tierwohl Programm teilnehmen wollen. 

 

Stimmen der Politik

CSU/EVP
Albert Deß (CSU) und politischer Sprecher der EVP, hält die Einführung der Richtlinie für überfällig. 
Denn auf die Notwendigkeit einer europäischen Gesetzgebung in diesem Bereich wurde schon seit Jahren hingewiesen. Deß hat diesbezüglich für die EVP-Fraktion wichtige Vorschläge eingebracht. Für ihn ist es im Interesse aller Akteure in der Lebensmittelversorgungskette und vor allem der Verbraucher wichtig, verbindliche transparente Wettbewerbsregeln in der EU zu haben. 

SPD/S&D
Agrarexpertin Maria Noichl, (SPD, S&D) von der Fraktion der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, ließ uns am 25.10. ihre Pressemeldung zum Thema zukommen. Wesentliche Auszüge: Schon seit zehn Jahren werde eine europaweite Gesetzgebung zur Beendigung unlauterer Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette gefordert. Zitat: „Dies sind Praktiken zwischen Unternehmen, die von der fairen Handelspraxis abweichen und gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen. In der Regel werden sie einem Handelspartner einseitig von einem anderen aufgezwungen". Wie Noichl berichtet, wollte eine Gruppe von Europa-Abgeordneten den Bericht zu unlauteren Handelspraktiken in letzter Minute aufhalten. Dies sei aber misslungen. Es gelte jetzt, mit dem Rat so schnell wie möglich eine Einigung zu erzielen. Dem Druck der Lobbys dürfe keinesfalls nachgegeben werden: „Eine klare Mehrheit der Europa-Abgeordneten ist bestrebt, das parlamentarische Verfahren bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode abzuschließen. Eine Verschiebung der Zustimmung des Parlamentsmandats auf die nächste Plenarsitzung würde die Gefahr mit sich bringen, die einzigartige Chance zu zerstören, dass dieser wichtige Rechtsakt noch in diesem Jahr angenommen wird", mahnt Maria Noichl. Zwei markante und strittige Änderungsanträge sehen unter anderem vor, genossenschaftlich organisierte Handels-Einkaufsgemeinschaften oder die höhere Standardsetzung durch den Handel verbieten zu lassen. Das müsse im Trilog zuverlässig geglättet werden. 

Die Grünen
Martin Häusling von der Europagruppe der Grünen und Abgeordneter im Europäischen Parlament berichtet von der Einlassung des Binnenausschusses und des Agrarausschusses, auch Großunternehmen in den Schutz vor unfairen Handelspraktiken einzubeziehen. Die Handelsverbände kritisieren die Ausweitung scharf. Häusling, selbst Bio-Landwirt, befürchtet, dass im Verhandlungsprozess am Ende der ursprüngliche Entwurf durch eine starke Lobby der Lebensmittel verarbeitenden Großunternehmen und der Handelskonzerne lediglich Konzerne vor Konzernen schützt. Dabei bezieht er sich auf einen Vorgang, bei dem im Rahmen von streitigen Preisverhandlungen sogar Produkte von Großunternehmen wie Coca Cola und Nestlé in den Discountern und Supermärkten bestimmter Handelsunternehmen einfach vorübergehend aus den Regalen genommen wurden. Häusling; „Jetzt sollen dann Coca-Cola und Nestlé gegen Edeka und Rewe klagen können, das war nicht das Ziel, für das wir angetreten sind.“ Auch die Anträge der CSU-Gruppe um den Abgeordneten Albert Deß seien vom Agrarausschuss angenommen worden. Zusammenschlüsse von Groß- und Einzelhändlern wie Genossenschaften sind dabei im Visier und geraten in Gefahr. Das Vorhaben, Tierwohl und Umweltschutz ausschließlich gesetzlich festzulegen, hält der Grünen Politiker für „unsinnig“. Der Handel sei mit seinen über den gesetzlichen Rahmen hinausgehenden Qualitätsanforderungen bei der landwirtschaftlichen Produktion doch oftmals Vorreiter, dem der Gesetzgeber hinterher hinke. 
Auf Nachfrage der EG auch bei der im Landkreis Traunstein ansässigen MdL Gisela Sengl der Grünen erhielten wir folgende Antwort von ihr: „Der Ansatz der EU-Kommission, unfaire Handelspraktiken anzugehen, ist im Prinzip sehr gut und soll Landwirte und kleine und mittlere Betriebe schützen. Leider wurde dieser Schutz auf Großunternehmen ausgeweitet, zudem hat MdEP Albert Deß (CSU/EVP) mit einem zusätzlichen Passus dafür gesorgt, dass dem Handel künftig verboten werden soll, Waren über dem gesetzlichen Standard beim Umwelt- und Tierschutz anzubieten. Dieser zusätzliche Passus muss in den Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission (Trilog) dringend wieder herausverhandelt werden. Jetzt liegt es an den Agrarministern der Mitgliedsstaaten, diesen Passus zu verhindern. Denn dem Handel niedrige Standards aufzuzwingen, ändert nichts an niedrigen Erzeugerpreisen und den bekannten Abhängigkeiten. Natürlich soll der Handel nicht als eine Art Gesetzgeber fungieren. Ich habe immer angeprangert, dass der Handel die Regeln festlegt. Aber wenn die regierenden Parteien es nicht hinbekommen, Tierschutzstandards und Umweltschutzstandards verbindlich festzulegen, reagiert eben der Handel auf den Verbraucherwillen. Höhere Standards müssen durch bessere Erzeugerpreise honoriert werden. Das ist jetzt nicht der Fall, weil die höheren Standards willkürlich und die Kontrollen nicht transparent sind. Es ist Aufgabe der Gesetzgebung, endlich eine gesetzliche Tierhaltungskennzeichnung auf den Weg zu bringen“.


Vorstand der EG Traunstein beobachtet den Verlauf der Trilog Verhandlungen aufmerksam
Der Vorstand der EG Traunstein beobachtet das Ringen um eine brauchbare Lösung auf EU Ebene aufmerksam. Denn das Problem der zu großen Handelsmacht schlage wiederholt spürbar auf das Tagesgeschäft durch. Aktuell bestehe zwar seit Jahren ein besonders vertrauenswürdiges Verhältnis mit dem Hauptabnehmer der EG. Aber in der Tat sei auch der immer wieder von Handelspraktiken wiederum seiner Abnehmer aus dem EU-weiten Handel betroffen, die es ihm schwer machen, das akzeptable Preisniveau für Schlachtrind zu halten. Die daraus resultierenden, manchmal schwierigen, Verhandlungsphasen der Erzeuger mit dem Vertragspartner würden sich beide Seiten gern ersparen. Auch die kleineren, in Geschäftsbeziehung zur EG oder den EG Landwirten direkt stehenden, Fleischhandelsunternehmen kämpfen mit dem von den Handelskonzernen ausgeübten Preisdruck: „Hier sitzen eine ganze Menge Geschäftspartner und Mitbewerber im gleichen Ruderboot, dessen Kurs von einer Kapitäns-Crew bestimmt wird, der die Mannschaft an den Riemen ohne anständiges Mitspracherecht gegenübersitzt“, so der Vorsitzende der EG Hans Grabner, „diplomatische Seiltänze, ausschließlich auf Seiten des Anbieters, dürfen nicht länger die gängige Verhaltensweise bei Verhandlungen unter ordentlichen Kaufleuten sein“. So traurig es sei, es gehe wohl auch hier wieder einmal nicht ohne gesetzliche Regelungen. Bedauerlich findet der Vorsitzende der EG, dass im Vorfeld durch die EU Politiker aller Fraktionen wenig Kontakt zu betroffenen landwirtschaftlichen Erzeugerorganisationen in der Etappe aufgenommen wurde. Sie hätten aufgrund ihrer Erfahrungen in der Praxis wertvolle Impulse für vergleichsweise einfach umzusetzende Lösungen geben können.

hg/pz